20.01.01

Solidarische Ökonomie - Erfahrungen aus Brasilien

Eingeleitet wurde die Diskussion durch einen Beitrag von Paul Singer, einem dort sehr bekannten Ökonomen.

Er verwies auf den wirtschaftlichen Hintergrund für das Aufstreben neuer solidarischer Formen des Wirtschaftens - Arbeitslosigkeit und Krisen. Eine Reaktion darauf sei die Übernahme von Unternehmen im Konkurs oder von konkursgefährdeten Unternehmen durch Beschäftigte, ähnliche Tendenz seien auch auf dem Land zu verzeichnen.

Diese Bewegung transformiere sich, so die These Singers, in einen neuen Sektor. Warum sollten diese neu entstehenden nicht demokratische und kommunitaristische Unternehmen sein? Warum entstehen spontan Genossenschaften? Singer sieht hier eine Wiederaufnahme von bestimmten Werten, ein Aufleben von Solidarität. Um diese zu befördern, müsse man den ideologischen Mustern einer "natürlichen Unfähigkeit" der Beschäftigten zur Führung der Geschäfte entgegentreten.

Die übernommenen Unternehmen, so Singer weiter, sind das Gegenteil kapitalistischer Unternehmen. Er hob die Notwendigkeit des Engagements über die Arbeit hinaus hervor - eigentlich sei klassische Lohnarbeit hier nicht möglich. Trotzdem müsse man immer berücksichtigen, dass sich die neue Ökonomie eben im Umfeld der alten entwickle. Er befürwortete Inkubatoren für solidarische Unternehmen.

Dies war u.a. dann auch Gegenstand des Beitrages eines Vertreters der ADS. Als gewerkschaftsnahe Organisation engagiert sich ADS in diesem Bereich, um Solidarität zu stärken. Diese Überlegungen deckten sich weitgehend mit den Bewertungen anderer RednerInnen: Die wirtschaftliche Situation sei nur der Anlass, die Frage solidarischen Wirtschaftens aufzuwerfen - der Inhalt sei ein sozialer. Es ginge um eine neue Kultur der Kooperation und um die Demokratisierung von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, um die Schaffung von Gegengewichten zu den Globalisierungsprozessen. Es wurde angemerkt, dass der wachsende Stellenwert der solidarischen Ökonomie auch mit dem Misserfolg des Versuches, wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Probleme durch das Umwerben und Ansiedeln ausländischer oder einheimischer Großunternehmen zu lösen, zusammenhänge.

Vor allem sollen realisierbare Alternativen zur Arbeitslosigkeit gezeigt werden. Unter diesem Vorzeichen betreibt ADS folgende Hauptprogramme:

- Studien

- Kreditierung in allen Zweigen - einschl. Kreditgenossenschaften

- direkte Förderung (Inkubatoren)

- Publikationen (z.B. zu einem neuen Genossenschaftsgesetz)

- Propagieren der Genossenschaften als demokratische Form des Wirtschaftens - entsprechende Schulung.

So wurde unlängst ein solidarisches Unternehmen zur Produktion tropischer Früchte in Amazonien mit Hilfe eines niederländischen Partners errichtet, das seine Erzeugnisse in die Niederlande exportiert. 

Zur breiteren Streuung von Erfahrungen werden derzeit Regionalbüros aufgebaut, die das Thema "Entwicklung regionaler Wirtschaftsstrukturen von unten" immer wieder vorantreiben. 

Weiter sprach in der Diskussion ein Vertreter einer Vereinigung der Beschäftigten in sozialen (selbstverwalteten) Unternehmen. Er hob hervor, dass sie kein bestimmtes Modell verfolgten. Es würden verschiedene Konzepte realisiert, die entsprechend verschiedene Wege der kollektiven Kontrolle der Unternehmen durch Beschäftigte oder Gruppeneigentümer einschließt.

Dabei seien die Kollektive mit vielen, noch nicht ausreichend geklärten Fragen konfrontiert:

- Welche Rolle kommt der Anstellung von weiteren Beschäftigten zu, wie sollen überhaupt die entstehenden Arbeitsverhältnisse der einzelnen MiteigentümerInnen betrachtet werden?

- Wie sollen die Einkommen gestaltet werden?

- Wie wird mit dem Problem der Identifizierung mit der Arbeit und mit kollektiven Entscheidungsprozessen umgegangen werden?

Daneben haben sich die Unternehmen mit den normalen Problemen auseinander zu setzen - Kenntnisse im Management, die Ausbildung zur Selbstverwaltung und vor allem Geldbeschaffung sind solche Fragen.

Um die Finanzierung ihrer Unternehmen zu verbessern hat die Vereinigung eine eigene Bank illegal gegründet, die in ihrer Philosophie inspiriert ist von der Grameen-Bank. Er hob hervor, und hier decken sich die Erfahrungen mit denen der Grameen-Bank, dass die Einbeziehung von Frauen in Projekte solidarischer Ökonomie sich sehr gut auf die Unternehmungen auswirkt. Die Frage nach der Rolle von Kleinkrediten wurde im Laufe der Veranstaltungen zur Solidarischen Wirtschaft von verschiedenen RednerInnen angesprochen.

In weiteren Beiträgen eines Vertreters der Regionalregierung von Belem, eines Belegschaftsvertreters aus einem Unternehmen, das nach Bankrott von der Belegschaft übernommen wurde sowie eines Vertreters der Caritas wurden weitere Seiten der bereits aufgeworfenen Fragen erörtert. Dazu gehörten weitergehende Fragen der Finanzierung (bis hin zur Rolle lokaler Währungen), verschiedene Aspekte der Ausbildung und Bildung zu solidarischem und kommerziellem Handeln sowie der Einführung moderner Technologien in solidarischen Unternehmen. Nicht zu unterschätzen auch die immer wieder angesprochene Problematik des Verhältnisses von notwendiger Organisation/Hierarchisierung auf der einen und weitgehender Partizipation auf der anderen Seite.