Partizipation - Macht - Emanzipation
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Weg der Emanzipation und Selbstbestimmung"
Demokratie und Bedingungen für Partizipation und selbstbestimmtes Handeln
Problemstellung
Die Befähigung zu demokratischem Handeln und die Entwicklung bzw. Stabilisierung demokratischer
Werte gehört zu den originären Zielstellungen politischer Bildung. Damit ist
jedoch nicht gesagt, was Demokratie ist, welche Werte in den Kanon
demokratischer Grundwerte gehören und welche gesellschaftlichen Handlungen als
Demokratie befördernd betrachtet werden oder nicht. Dies zeigt sich
exemplarisch an den Auseinandersetzungen um den Stellenwert von Elementen
direkter Demokratie und dem praktischen Umgang mit ihnen. Selbst die weitgehend
anerkannten demokratischen Grundwerte unterliegen einer intensiven Diskussion -
man denke an die Debatten um die Persönlichkeitsrechte, um das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung usw. Die verschiedenen sozialen Kräfte
verfolgen in einem bestimmten Rahmen eigene Demokratiekonzepte, die im Kern von
ihren Interessen (genauer von ihrer Interessenlage als Totalität ihrer
Interessen) geprägt sind - das Demokratiekonzept der einzelnen
gesellschaftlichen Gruppen ist jeweils davon geprägt, wie die jeweilige Gruppe
ihre wirtschaftliche, geistig-kulturelle und soziale Stellung in der
Gesellschaft am besten abgesichert sieht, mithin sind sie immer Konzepte des
Machterhaltes oder der Machterringung. Auch wenn dabei die wirtschaftlichen
Interessen den Kern bilden, ist keine unmittelbare Kausalität zwischen ihnen
und den verfolgten Demokratiekonzepten abzuleiten. Allerdings ziehen die
wirtschaftlichen Interessen der wirtschaftlich dominierenden Schichten durchaus
die Grenze dessen, was in den Kanon demokratischer Werte aufgenommen werden kann
und was als nicht-demokratisch ausgeschlossen und bekämpft wird. Wenn wir von
der gegenwärtigen Gesellschaft als kapitalistischer sprechen, so wird diese
Grenze in erster Linie durch die Markt-Verfügbarkeit von Arbeitskraft ganz
bestimmter Qualität auf der einen Seite und der Sicherung unternehmerischer
Entscheidungsautonomie auf der anderen Seite gezogen. So lange diese beiden
Grundelemente in der Resultante des Handelns der verschiedenen sozialen Kräfte
(einschl. des Staates) gewährleistet sind, wird i.A. eine Gesellschaft als
demokratisch betrachtet. An beiden Punkten wird entschieden, welchen Inhalt
demokratische Freiheitsrechte letztendlich haben dürfen, und welche nicht.
Damit wird grundsätzliches ein recht breites Feld demokratischen Handelns eröffnet,
dessen Ausgestaltung allerdings immer von den Macht-Realitäten abhängt, die
sie aber gleichzeitig mit bestimmen. Indem die praktische Ausgestaltung der die
Demokratie gewährleistender Institutionen, Regularien etc. konkrete Formen der
Widerspruchslösung bestimmen, setzen sie wiederum auch die Richtung der
Weiterentwicklung ihrer selbst wie auch des Demokratieverständnisses. Insoweit
bedeutet Demokratie oder demokratische Herrschaft immer Kompromiss zwischen
aktuellen Kräftekonstellationen, zwischen verschiedenen Interessenlagen und
zwischen heutigen und zukünftigen Anforderungen. Hier, in der Dynamik dieser
Wechselbeziehungen liegt der wesentliche Triebkraftmechanismus, der ausgehend
vom Profit- und Verwertungsstreben der Einzelkapitale der kapitalistischen
Gesellschaft ihre Dynamik (in all ihrer Widersprüchlichkeit) verleiht. Damit
dieser Kompromiss zustande kommt, sind wiederum auch Voraussetzungen nötig -
dies sind vor allem a) eine bestimmte Marktmacht und b) eine bestimmte
gesellschaftlich wirksame Artikulationsfähigkeit aller beteiligten (oder
idealtypisch zu beteiligenden) Seiten.
In dieses grundsätzliche Raster
von Demokratie und Herrschaft sind weitere Felder einbezogen, die mit den
Begriffen Geschlechterdemokratie, Wirtschaftsdemokratie, kommunale
Selbstverwaltung, Verwaltungsmodernisierung usw. beschrieben werden. Dies trägt
dem Umstand Rechnung, dass sich Herrschaft nicht in dem Herrschaftsverhältnis
Kapital-Arbeit erschöpft.
In dem dargestellten Rahmen ist
es richtig, dass zwischen Kapitalismus (oder wie die Ordnung sonst auch
bezeichnet wird) und Demokratie ein unlöslicher Zusammenhang besteht. Dies ist
mehr als nur eine Floskel und beschreibt das Dilemma gegenwärtiger Politik und
Machtausübung. Politisches Verhalten setzt ideologische Verinnerlichung voraus;
die allseits konstatierte Politikverdrossenheit und die schwindende ideologische
Legitimation der „Demokratie“ (nicht nur staatlichen Handelns!) stellt die
bisherigen Vermittlungen zwischen wirtschaftlichen Interessen und
gesellschaftlichem Handeln in Frage - und untergräbt das bisherige
Triebkraftmodell. Auf dieser Widerspruchskonstellation basiert das
demokratie-konzeptionelle Handeln recht verschiedener Akteure aus allen
politischen Lagern. Im Kontext der Projekte der Bertelsmann Stiftung, der
Empowerment-Startegien der Weltbank, der Entwicklung von governance-Startegien
der OECD oder der von A.Sen entwickelten Gerechtigkeits-Vorstellungen - alle
diese mehr oder weniger direkt politikwirksamen Konzepte setzen von dieser
Widerspruchskonstellation ausgehend auf Partizipation, mithin geht es ihnen um
eine Neustrukturierung demokratischer Mechanismen.
Diskussionen
Für die Auseinandersetzung mit dem Thema Demokratie gewinnen vor diesem Hintergrund wachsende Bedeutung:
- die Debatte um die Rolle des Staates in der demokratischen Ordnung
- der Stellenwert von Formen direkter Demokratie
- die Diskussionen um die Gewährleistung der Universalität demokratischer Rechte innerhalb der Gesellschaft (z.B.
Geschlechterdemokratie, Rechte von MigrantInnen...)
- die Debatte um die Universalität (bürgerlich)demokratischer Werte und Institutionen im internationalen Rahmen.
Grundsätzlich sind dabei 3 Ebenen zu berücksichtigen, die auch im Rahmen der Entwicklung von
Eigenkompetenz, zu Fähigkeiten zu Partizipation relevant wären:
1. die Grundlagen, auf denen
sich das Handeln der Akteure abspielt, im Sinne einer ideologische Selbstverständigung
und einer Kritik vorliegender Demokratie-/Partizipations-Konzepte
2. die Befähigung zum Handeln, im Sinne von Erfahrungsaustausch und Erarbeitung von Fähigkeiten und
Fertigkeiten „technischer“ Natur (Vermittlung/Erarbeitung von Artikulationsfähigkeit)
3. Befähigung zur Formulierung von weiterreichenden Konsequenzen, zur Perspektivorientierung demokratischer
Formen und Erschließung neuer Felder demokratischen Handelns (spezifizierte
praxisorientierte Zukunftsdiskussion).
Die Einheit von ideologischer Selbstverständigung und Handlungsbefähigung
(Selbstermächtigung) bedeutet das Eintreten in den für das politische Leben
wesentlichen Kreislauf von Partizipation, Macht und Emanzipation. Partizipation
als bewusstes Eingreifen in gesellschaftliche Prozesse bedeutet immer
Durchsetzung von Interessen, damit Eingreifen in Machtstrukturen, bedeutet
Ausübung von Macht, bedeutet Emanzipation von geistigen und materiellen
Schranken. Emanzipation schafft neue Spielräume und Bedingungen der
Partizipation, schafft auch neue Ideologie, neue Ziele wie auch neue
Vorstellungen von Zielen. Partizipation braucht daher immer auch eine Vision.
Als interessengebundener Prozess sagt Partizipation selbst nichts über ihre Qualität,
über ihre Richtung aus.
(wird fortgesetzt)