5. Parteitag der PDS 1.Tagung 1997

Alternativen zur zerstörerischen Regierungspolitik

Rede von Heidi Knake - Werner zur Begründung des Leitantrages "Vorschläge zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau"

Die Massenarbeitslosigkeit, liebe Genossinnen und Genossen, ist zur größten Geißel dieses Jahrzehnts geworden, weltweit sind mehr als 800 Mio. Menschen erwerbslos oder verdingen sich zu Hungerlöhnen. Millionenfach werden Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und gehindert, ihre Existenz durch bezahlte Arbeit zu sichern, ihre Qualifikation und Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen. Auch in der BRD haben die Arbeitslosenzahlen 1997 alle bisherigen traurigen Nachkriegsrekorde übersprungen. Neben Massenentlassungen in den Schlüsselindustrien wird sich auch in diesem Jahr der Trend fortsetzen, Vollzeitjobs in sozialversicherungsfreie ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse oder in Scheinselbständigkeit aufzulösen. Vor allem, das sogenannte Normalarbeitsverhältnis ist längst die Ausnahme. Damit wächst nicht nur die Zahl der armen Arbeitslosen, sondern auch die Gruppe der arbeitenden Armen wird größer. Die Folgen dieser Entwicklung sind vielfältig, es sind Millionen Einzelschicksale, die sich nicht statistisch erfassen lassen. Aber eines läßt sich verallgemeinern: Die Spaltung der Gesellschaft, das Auseinanderklaffen von arm und reich wird sichtbarer: Während das Angebot an Luxusgütern immer reichhaltiger und die schnieken Konsumtempel immer luxuriöser werden, steigt die Zahl der Bettler vor ihren Türen. Obdachlosigkeit oder ein Leben an der Armutsgrenze gehören heute ebenso zum Alltag unseres reichen Landes wie alte Frauen und Männer, die um ihre Rente bangen, Jugendliche, die ihre Zukunft verloren haben, ehe sie beginnt, Alleinerziehende, die sich auf dem Sozialamt wegen ein paar Mark mehr demütigen lassen müssen, und Kinder werden zum Armutsrisiko. In den neuen Ländern bekommen die Menschen die brutalen sozialen Verwerfungen besonders drastisch zu spüren. Zu den vielen Problemen, die die neue deutsche Einheit in ein Desaster verwandelten, gehört auch die schlichte Tatsache, daß die neuen Bundesländer in einen Kapitalismus importiert wurden, dem inzwischen alle Bedingungen abhanden gekommen waren, die so etwas wie eine nachholende wirtschaftliche Modernisierung möglich gemacht hätten. Die alte Bundesrepublik hatte von allem zuviel, was die neuen Länder einbrachten und von allem zu wenig, was diese gebraucht hätten. Sie hatte für die moderne Ökonomie zu viele Arbeitskräfte, zu viele soziale Lasten, überschüssige Produktionskapazitäten und zu wenig öffentliche Haushaltsmittel. Der Kapitalismus der 90er Jahre war schon vor dem Anschluß unfähig geworden, den alten Sozialstaat aufrechtzuerhalten, und er war erst recht unfähig, Kohls blühende Landschaften zu verwirklichen. Statt dessen werden Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit entlassen, als Altlasten abgestempelt, an den heimischen Herd abgedrängt. Und viele müssen heute froh sein, wenn sie sich zum fünften Mal umschulen lassen oder mit Spitzhacke und Spaten ihre ehemaligen Arbeitsplätze wegsanieren dürfen. In den neuen Bundesländern bündeln sich die Folgen der kapitalistischen Modernisierung wie in einem Brennglas. Und es sind oft nicht die klassischen Notlagen, die das Leben so unerträglich machen, sondern der Verlust an Identität und Würde, das Gefühl, gedemütigt, um die eigene Lebensleistung und die Zukunft gleichermaßen betrogen zu sein. Viele aus Kunst, Medien und Wissenschaft, die zur DDR-Elite zählten, sind und bleiben zur Untätigkeit verdammt, klagt Gerhard Zwerenz an und fordert ein Kolloquium zu dieser Problematik. Ich will hier für die Bundestagsgruppe erklären, daß wir bald nach dem Parteitag die Initiative von Gerhard realisieren wollen.

Botschaften am Beginn des neuen Jahres

1. Nun fällt ja zu Beginn des Jahres 1997 auf, daß Massenarbeitslosigkeit und auch zunehmende Armut von fast allen politischen Seiten beklagt wird. Was aber haben insbesondere die Regierungsparteien in ihren Neujahrsbotschaften den Menschen als Lösungen anzubieten? Die CSU bereichert einmal mehr die Diskussion an deutschen Stammtischen mit der Parole ,Raus mit den ausländischen Saisonarbeitskräften". Sie nutzt die Massenarbeitslosigkeit zur weiteren Entsolidarisierung und zu einer Sündenbocktheorie, die zutiefst ausländerfeindlich ist. Die FDP will neben dem Solidaritätszuschlag auch den Kündigungsschutz abschaffen und damit das Heuern und Feuern in den Betrieben erleichtern. Wie dies Arbeitsplätze schaffen soll, bleibt Rexrodts Geheimnis, er hat sich diesbezüglich schon bei der Verlängerung der Ladenschlußzeiten hinreichend blamiert. Aber in Wahrheit geht es dieser Koalition auch gar nicht um die Erwerbslosen, wie es ihr nicht um Kranke, RentnerInnen oder Alleinerziehende geht. Dieser Regierung geht es vorrangig um die Interessen von Leuten, die sich von der Fortsetzung der neoliberalen Politik stabile Vermögensgewinne und sinkende Steuern versprechen, um Leute, deren Aktienpakete im Wert steigen, wenn Massenentlassungen angekündigt werden. Deshalb können wir uns diese Regierung nicht mehr leisten - um der Zukunft von Millionen Menschen willen. Die CDU schließlich sieht das Heil darin, die Dienstleistungs- in eine Dienstbotengesellschaft zu verwandeln. Gemeinsam legen sie ein neues Arbeitsförderungs Reformgesetz vor jede soziale Sauerei kommt ja heute als Reform daher -, das nicht nur keinen neuen Arbeitsplatz bringen wird, sondern allein dazu dient, die Erwerbslosen zu disziplinieren, ihre Qualifikation zu entwerten und ihnen jede Arbeit zuzumuten. Wenn ein Kurpfuscher zehn Jahre lang die Friedhöfe füllt, weil er die Schwindsucht mit Fastenkuren behandelt, dann wird man ihm mit Recht die Approbation entziehen. Und wenn eine Regierungskoalition 14 Jahre lang die Arbeitsämter füllt, weil sie Arbeitslosigkeit mit einer Fastenkur für die Massenkaufkraft bekämpft und tatenlos zusieht, wie die explodierenden Geldvermögen hinter dem Rücken ihres Finanzministers nach Luxemburg und sonstwohin entschwinden, dann gehört solche Regierung aus dem Amt gejagt. Auch die PDS hat in dieser Situation keine Patentrezepte, aber von uns kann erwartet werden, daß wir die sozialen Probleme nicht nur anprangern, sondern die wirklichen Ursachen scharf kritisieren und Alternativen entwickeln, für die es sich hier und heute zu kämpfen lohnt. Denn wenn wir den gesellschaftlichen Absturz aufhalten wollen, wenn wir verhindern wollen, daß die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher werden, braucht es dafür gesellschaftliche Bewegung, ein Bündnis gesellschaftlicher Kräfte für eine andere Politik. Deshalb, liebe Genossinnen, werbe ich auch für den vorgelegten Leitantrag. Kein sozialistisches Programm, gewiß und im Unterschied zu Sahra halte ich Reformvorhaben nicht für weltfremd -, aber eine Fülle konkreter politischer Alternativen, die uns als Partei insgesamt handlungsfähig machen; die das Leben der Menschen hier und heute erträglicher machen, die Abwärtsspirale aufhalten.

Zwei große Umwälzungen

2. Auf fast allen Seiten der Politik herrscht heute Einigkeit darüber, daß die dramatische Vernichtung von Arbeitsplätzen durch weltweite Umbrüche verursacht wird, die einem wahren Epochenbruch in der Technologie, der Ökonomie und in den sozialen Beziehungen gleichkommen. Indem diese Umbrüche mit solch klingenden Begriffen wie Globalisierung versehen werden und den Charakter historischer Gesetzmäßigkeit angedichtet bekommen, werden sie für die Menschen zu einer Art Naturereignis. Aber weder die wahrhaft revolutionäre Entwicklung der Technik noch die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen folgen einem Naturgesetz, sondern sie folgen der Natur dieser kapitalistischen Gesellschaft.
3.Um es gleich zu sagen, diese Erkenntnis bleibt allerdings ziemlich nichtssagend, so lange wir die Natur dieser Gesellschaft mit nichts anderem als dem Wort kapitalistisch beschreiben, wenn sich daraus keine konkrete Politik ableiten läßt. Wir haben Visionen, aber heute müssen wir uns darauf einlassen, die herrschende kapitalistische Ökonomie wieder in die Bahnen einer sozial erträglichen und ökologisch vertretbaren Entwicklung zu zwingen. Das ist ein mühsamer Prozeß, denn das kann keine Entwicklung sein, die sich an den früheren Konzepten des Sozialstaates oder der alten Vollbeschäftigungspolitik orientiert, weil wir heute mit einer kapitalistischen Ökonomie konfrontiert sind, die mit den alten Methoden sozialstaatlicher Politik nicht mehr zu bändigen ist. Das heißt nicht, daß sie nicht zu bändigen wäre, aber das verlangt andere Konzepte und völlig neue politische Kräfte.
4. Die PDS muß konzeptionell auf den Punkt bringen, was an gesellschaftlicher Kritik und Reformwillen bereits in der Gesellschaft vorhanden ist. Wir müssen nicht alles neu erfinden, was über den modernen Kapitalismus zu sagen ist, und niemand wird erwarten, daß die PDS Alternativen anbietet, die noch nirgendwo formuliert wurden. Aber wir stellen uns der Anforderung, im Kreis der Oppositionsparteien aus alledem konsequente Politik abzuleiten.
5. Liebe Genossinnen und Genossen, unsere Zeit ist von zwei unabweisbaren Umwälzungen betroffen. Erstens reichen rein qualitative Wachstumsraten nicht hin, um sowohl Vollbeschäftigung und Sozialstaat als auch wachsende Profite abzusichern. Wir können sie auch um der Zukunft dieser einen Welt willen gar nicht wollen. Und zweitens hat die Revolution der neuen Technologien eine Entwicklung eingeleitet, die dazu führen wird, daß die Menschheit in wenigen Jahrzehnten nur noch ein Fünftel der heute benötigten Arbeitszeit zur Herstellung aller auf dem Markt absetzbaren Waren und Dienstleistungen benötigt. Für eine Gesellschaft, deren Wohlstand sich auf die Teilnahme am Erwerbsleben gründet, in der eine kontinuierliche Erwerbsbiographie über Dazugehören oder Draußensein entscheidet, ist das eine Katastrophe. Sie gerät in eine Abwärtsspirale, solange die Politik von den Interessen der riesigen Geldvermögen und der blinden Hand des Marktes diktiert wird. Diese Politik muß gestoppt werden. Unser Antrag zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau kann dazu ein wichtiger Beitrag sein.
6. Während die Bundesregierung die soziale Verantwortung der Gesellschaft abbauen will und dies heuchlerisch als Stärkung der Eigenverantwortlichkeit verkauft, wollen wir die öffentliche Verantwortung stärken sowie das Solidarprinzip ausweiten und neue mitmenschliche Verantwortlichkeiten schaffen. Wer in dieser Zeit gesellschaftlicher Umbrüche auf Dauer arbeitslos wird oder durch die Risiken unserer Zeit an den Rand der Gesellschaft gespült wird, muß eine soziale Grundsicherung erhalten. Denn Ausgrenzung, soziale Kälte und das unübersehbare Wachstum von Armut und Obdachlosigkeit zerstören nicht nur die Lebensverhältnisse, sie gefährden den sozialen Frieden und untergraben letztlich die Grundlagen der Demokratie.

Staatlich organisierter Wahnsinn

7. Während die Bundesregierung vorgibt, durch sinkende Löhne, verschlechterte Sozialstandards und abnehmende Gewinnsteuern Arbeitsplätze zu erhalten, wollen wir durch Erhöhung der Massenkaufkraft, durch öffentliche Investitionen und durch Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums neue Arbeitsplätze schaffen. Wenn immer mehr Arbeitsplätze wegen nachlassender Binnennachfrage vernichtet werden, dann ist es doch staatlich organisierter Wahnsinn, die Kaufkraft der privaten Haushalte abzubauen und die investiven Ausgaben des Staates zusammenzustreichen.
8. Während die Bundesregierung das gesetzliche Gebot zur Sicherung von Vollbeschäftigung aufgegeben hat und Millionen Erwerbslose auf Dauer von der gesellschaftlichen Entwicklung ausschließen will, suchen wir nach Lösungen, die nicht nur sozialer, sondern auch produktiver sind, weil sie die Schöpferkraft und Kreativität von Millionen Menschen für die Gesellschaft zurückgewinnen. Wir lassen uns von dem Gedanken leiten, daß sinnvolle und existenzsichernde Arbeit für alle, die daran teilhaben wollen und können, die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ist. Während die Bundesregierung Langzeitarbeitslose, vor allem Frauen, in Dienstboten und Scheinselbständige verwandeln oder auf miserabel bezahlte Teilzeitjobs abdrängen möchte, streben wir eine neue Form von Vollbeschäftigung durch die radikale Verkürzung der Arbeitszeit an. Es läßt sich ausrechnen, daß jede und jeder Arbeit finden können, wenn die Arbeitszeit auf 25 oder 20 Stunden in der Woche reduziert würde. Über die Forderung "1000 Stunden sind genug" sollten wir nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus sozialen und ökologischen Gründen diskutieren.

Voller Lohnausgleich für kleine und mittlere Einkommen

Bis hierhin sind wir uns gewiß noch einig. Viele werden den Zugewinn an freier Zeit als Chance begreifen, das ganze Leben zu leben. Streiten werden wir darüber, wie dies mit existenzsichernden Einkommen zu machen ist. Ich gehöre zu jenen, die vollen Lohnausgleich für kleine und mittlere Einkommen wollen, die Besserverdienenden können Einbußen hinnehmen. Aber, Genossinnen und Genossen, so oder so: Ohne eine andere Verteilung der Produktionsgewinne wird dies nicht zu machen sein. Wir wollen Überstunden abbauen und Arbeit umverteilen. Hunderttausende Frauen und Männer bekämen so eine Chance auf einen Arbeitsplatz. Ich weiß, daß auch hier die Sorge besteht, daß durch einen Abbau der Überstunden gerade im Osten die Gruppe der arbeitenden Armen größer wird. Wir wollen Arbeit neu und umbewerten und bezahlte wie unbezahlte Arbeit gerechter zwischen Frauen und Männern verteilen.

Für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor

9. Aber wir wollen auch neue Arbeit schaffen und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor - ÖBS - durchsetzen, der sich an gemeinwirtschaftlichen Zielen und am Gemeinwohl der Menschen orientiert. Mit dem ÖBS schlagen wir einen Weg zum Umbau der Arbeitsgesellschaft vor. Er ist etwas anderes als ein zweiter, dritter und vierter Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zu dessen instabilem, befristetem und diskriminierendem Charakter soll mit dem ÖBS ein neuer ziviler Sektor zwischen Produktion und Dienstleistung geschaffen werden. Hier sollen die Arbeitskraft und das Talent von Menschen genutzt werden, die unzähligen Aufgaben im sozialen Bereich, in der Kinder- und Jugendarbeit, im Kultur- und Freizeitbereich sowie bei der ökologischen Sanierung zu erledigen - auf arbeitsrechtlich gesicherten und tariflich bezahlten Arbeitsplätzen natürlich. Der amerikanische Wissenschaftler Jeremy Rifkin nennt dies die Schaffung sozialen Kapitals. Lange Zeit haben die Frauen unbezahlt und ehrenamtlich dieses soziale Kapital erwirtschaftet und damit der Gesellschaft ein stabiles Rückgrat gegeben. Heute, wo allenthalben darüber schwadroniert wird, daß dieser Gesellschaft die Arbeit ausgeht, sagen wir nein: Uns geht nicht die Arbeit aus, Arbeit gibt es zuhauf, insbesondere in einer Zeit, wo die soziale Grundversorgung der Bevölkerung weggespart wird, wo ökologische Altlasten aus dem gleichen Grund nicht beseitigt und kulturelle Angebote gestrichen werden. Ein solcher öffentlicher Sektor, der Nachbarschaftshäuser und Beratungseinrichtungen ebenso umfaßt wie Altencafes, Jugendklubs und freie Theater, schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern fördert Selbstbestimmung und Verantwortungsgefühl und macht die sozialen Lebensräume wieder attraktiv. Er ist zudem eine Alternative zu staatlichen Institutionen. Denn beim ÖBS orientieren wir uns an dem Gedanken, daß der Staat nicht alle Aufgaben, für die er verantwortlich ist, selber machen muß, aber er muß die materiellen Rahmenbedingungen schaffen, damit diese Aufgaben mit bezahlter Arbeit erledigt werden können. Dazu bieten sich eine Fülle gemeinnütziger, bürgernaher selbstorganisierter Projekte und Netzwerke an, deren Potenzen, deren Kreativität wollen wir nutzen mit gesicherter Aufgabenstellung und Dauerarbeitsplätzen. Wie das alles zu finanzieren ist, wird die entscheidende Frage auch in unserer Diskussion sein. Rifkin schlägt dazu die Teilung der Produktionsgewinne vor, und ich stimme ihm insoweit zu, als ich denke, ohne eine Umverteilung von oben nach unten werden auch diese Projekte nicht zu realisieren sein. Im Rahmen des ÖBS können auch neue Produktionen entstehen, denen es nach einer Zeit öffentlicher Förderung gelingt, sich auf dem Markt zu behaupten. Es braucht noch viele Diskussionen, um die Rolle des ÖBS zwischen freier Wirtschaft und öffentlichem Dienst zu bestimmen. Die Bundestagsgruppe und die Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt haben sich vorgenommen, in diesem Jahr einzelne Projekte des ÖBS bei Modellarbeitsämtern in Sachsen-Anhalt zu initiieren, um damit unsere Überzeugungskraft in dieser Frage zu stärken.
In dem Antrag fordern wir auch eine Reform des öffentlichen Dienstes. Hier geht es uns vor allem darum, seine Potentiale gezielt und sinnvoll zu nutzen zur Verbesserung der öffentlichen Daseinsvorsorge.
10. Neue Arbeitsplätze müssen gerade in den neuen Ländern auch durch eine sinnvolle Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen - KMU - und regionale Wirtschaftskreisläufe entstehen. Auch dazu gibt es im Antrag eine Reihe von Vorschlägen, und streiten müssen wir darüber, welche Förderkonditionen notwendig und möglich sind. Ich gehöre zu denen, die öffentliche Förderung von tariflicher Bezahlung abhängig machen wollen.
11. Der Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit muß eng mit der Absicht verbunden werden, in diesem Land einen neuen Sozialkontrakt durchzusetzen. Die sich dramatisch zuspitzenden sozialen Probleme verlangen nicht nur leistungsfähige soziale Sicherungssysteme, sondern auch, daß ihre Finanzierung gerechter und eine neue Verteilung der Lasten und der Ansprüche durchgesetzt wird. Wir brauchen eine Sozial-, Gesundheits- und Wohnungspolitik, die die öffentliche Daseinsvorsorge verbessert und den Zerfall der sozialen Lebensräume aufhält.
Während die Bundesregierung privatisiert, was das Zeug hält, und dem Prinzip huldigt, minimale öffentliche Vorsorge bei maximaler privater Vorsorge, wollen wir das Solidarprinzip ausbauen, indem alle entsprechend ihrer ökonomischen Leistungskraft dazu beitragen. Wir wollen ein soziales Sicherungssystem, das vorbeugend wirkt und nicht auf Armenfürsorge reduziert wird. Wir wollen vor allem, daß Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt leben können und Bedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, ihre Pflege selbst zu organisieren. Während die Bundesregierung dazu beiträgt, daß Arme früher sterben müssen, wollen wir ein Gesundheitssystem, das jedem Menschen unabhängig von seinem Geldbeutel eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung gewährt. Während die Bundesregierung durch ihre unseriöse Rentenpolitik Existenzängste schürt und ausgerechnet Frauen Rentenkürzungen zumutet, wollen wir eine Rentenreform, die die Lebensleistung von Frauen anerkennt und ihnen eine eigenständige soziale Sicherung garantiert. Und während die Neoliberalen keinen anderen Ausweg aus der zunehmenden Armut kennen, als sie in arbeitende Arme zu verwandeln, treten wir für eine soziale Grundsicherung ein, die niemanden zwingt, sich mit Gelegenheitsjobs und Niedrigsteinkommen durchs Leben zu schlagen, die unter der Armutsschwelle liegen.

Ich habe nicht alle Vorschläge unseres Antrags genannt. Die Botschaft dieses Antrages ist in Gregor Gysis Sozialem Manifest zutreffend im Punkt 7 beschrieben. Unsere Vorstellungen sind noch kein sozialistisches Programm, aber es sind Alternativen, die dazu beitragen können, die Kapitaldominanz zurückzudrängen, die Verwertungsbedingungen des Kapitals einzuschränken und - was das allerwichtigste ist - es sind alternative Konzepte, die den Menschen hier und heute das Leben erträglicher machen.
Unsere Vorschläge sollen dazu beitragen, das Profil der PDS als Partei der sozialen Gerechtigkeit zu schärfen, die Kapitaldominanz einzuschränken und die zerstörerische, menschenverachtende Politik zu stoppen, um der Zukunft von Millionen Menschen willen. Sie sind unsere Kriterien für die Zusammenarbeit, für Tolerierung oder was auch immer an Formen von Bündnissen unter konkreten Bedingungen notwendig wird.


zurück zur Leitseite eingerichtet von L.B. 10/98